Ich habe die letzte Woche in Israel verbracht. Nach zwei Stunden Sicherheitsprozedur und einem freundlichen „Tschüßi!“ der Grenzbeamtin, freute ich mich darauf, meine Familie wieder zu sehen. Hatte aber weniger Lust zurück ins nun köhlerlose Land des schlechten Wetters zu reisen.
Als ob der Rücktritt (des von mir nach wie vor sehr geschätzten) Köhlers noch nicht genug Stoff zum Trauern & Grübeln gab, erfuhren wir dann noch von diesem israelischen Hilfstransport-Drama im Mittelmeer.
Was ich seit dem (wieder) in großen Teilen der Presse und des deutsch-weiten Webs lese, bereitet mir Sorgen. Nicht, weil man Israels Politiker für diese unkluge, ungeschickte und riskante Aktion verantwortlich macht und Rechenschaft für die 9 Todesopfer fordert. Sondern aufgrund des Zwischentons in den Berichten, ein Ton, der über die an sich berechtigte Kritik an der Inkaufnahme der Todesopfer hinausgeht.
Alle Welt fragt sich: Wieso muss Israel in neutralen Gewässern diesen Hilfstransport angreifen, dazu noch mäßig vorbereitet, so dass die eigenen Soldaten in einen Hinterhalt geraten, aus dem sie sich nur mit Hilfe von scharfer Munition befreien können?
Auch ich frage mich das. Aber ich frage mich noch viel mehr: Weshalb unterschlägt man in den Berichten Details, die helfen würden, das große Ganze zu bewerten.
- Das es z.B. nur auf einem von neun Hilfstransportschiffen zu den letztendlich tödlichen Auseinandersetzungen kam, auf dem sich dann zum Teil gewalttätige und/oder antisemitische und/oder dschihadistische „Friedensaktivisten“ befanden? Wer den „Empfang“ der den israelischen Soldaten bereitet wurde (z.B. auf diesem Video zu sehen: http://botschaftisrael.wordpress.com/2010/06/01/wie-die-gewalt-an-bord-ausbrach/) sieht, wird noch lange nicht die neun Todesopfer für gut heißen, kann aber mit Sicherheit verstehen, weshalb die Situtation eskalierte. Das Video wurde übrigen NICHT von israelischen, sondern von türkischen Staatsangehörigen aufgezeichnet, allerdings zensiert.
- Weshalb wird so getan, als handle es sich um neutrale Betreiber der „Hilfstransportes“? Von Gruppen wie der Hamas und der IHH braucht man gar nicht reden (http://www.welt.de/die-welt/politik/article7879368/Die-Naehe-der-tuerkischen-Regierung-zu-den-Radikalen.html ). Die Haltung der ostdeutschen Linken zum Thema Judentum und Israel habe ich heutnah in meiner Kindheit demonstriert bekommen: "WIR waren keine Nazis! Die kamen alle aus dem Westen!" Selbst ein so geachteter Schriftsteller wie Henning Mankell ist in der Vergangenheit nicht nur mit israelkritischen sondern -feindlichen Äußerungen aufgefallen:
„1948, als ich geboren wurde, erklärte Israel seine Unabhängigkeit auf besetztem Gebiet. Es gibt keinerlei Gründe dafür, dass dies eine völkerrechtlich legitime Handlung war.Man besetzte ganz einfach palästinensisches Land. Und man fährt fortlaufend fort, diesen Landbesitz zu vergrößern, etwa durch den Krieg 1967. Eine Zwei-Staaten-Lösung bedeutet nicht, dass die historische Besatzung aufgehoben wird.“
„Der Staat Israel hat nur eine Niederlage zu erwarten, wie alle Besatzungsmächte. Israel wird es genauso ergehen wie Südafrika unter der Apartheidzeit. Die Frage ist nur, ob die Israelis Vernunft annehmen werden und freiwillig einer Abwicklung des Apartheidstaates zustimmen werden. Oder ob es zwangsweise geschehen wird. Wenn Veränderungen kommen, wird es von dem einzelnen Israeli abhängen, ob er oder sie bereit ist, auf seine Privilegien zu verzichten und in einem palästinensischen Staat zu leben.“
„Der Untergang dieses verächtlichen Apartheidsystems ist das einzig denkbare Resultat, da es notwendig ist. Die Frage lautet also nicht ob, sondern wann es geschieht. Und natürlich auch, auf welche Weise.“
(Quelle)
- Auch wird nur selten erwähnt, dass Israel dem Hilfstransport einen von der UN kontrollierten Transport der Hilfsgüter via Ashod und über Land gewährt hätte. D.h. die benötigten Güter wären von neutraler Stelle zugestellt worden. Als das scheiterte, brachte sich die Familie eines israelischen Soldaten ins Spiel, der sich seit mehreren Monaten in den Händen der Hamas befindet. Gegen Zustellung eines Lebensmittelpaketes und eines Briefes versprach die Familie, sich für eine Zustellung der Hilfsgüter einzusetzen. Auch das wurde von den „Friedensaktivisten“ abgelehnt. Spätestens jetzt musste man davon ausgehen, dass es nicht um die Hilfsgüter allein ging. Das die Hamas heute die Hilfsgüter praktisch an der Tür ablehnte (nach aufbringen der Schiffe wurden die Güter in den Gaza transportiert), ist nur der finale Akt eines absurden Theaters. (siehe Tagesthemen, ca. 8. Minuten).
- Das Israel nicht grundsätzlich mit der geplanten Aktion gegen Internationales Recht verstossen hat, kann man hier nachlesen (Direktdownload: Helsinki Principles on the Law of Maritime Neutrality und hier gekürzt: Law Of Maritim Neutrality). Jeder getötete Mensch ist einer zuviel, keine Frage! Das grundsätzliche Recht die Schiffe aufzuhalten und zu untersuchen hatte Israel und dabei wäre es ohne die eisenstagenschlagenden Fahrgäste wohl auch geblieben - was ja auch der Ausgang auf den anderen Schiffen belegt.
Man kann unterschiedlicher Meinung sein, über die grundsätzliche Lage in Israel und Palästina. Der säkulare Staat Israel ist nicht automatisch mit dem alttestamentlichen Volk unter König David gleichzusetzen. Der moderne Staat Israel existiert nicht im völkerrechtsfreien Raum. Wir, als Christen sollten da kritisch bleiben! Erst recht was die Situation und Behandlung der z.T. christlichen Palästinenser und Araber betrifft.
Aber auch: Wir als Deutsche sollten kritisch bleiben, wenn es unter verschiedenen Vorwänden wieder „Die Juden“ oder „Typisch Israel!“ heisst. Die Töne, die man jetzt aufgrund des Mittelmeer-Vorfalls hört, sind nur der Höhepunkt der letzten Wochen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden Kramer, beklagte im Mai im FOCUS eine zunehmende antisemitische Tendenz in den deutschen Medien. Seine Argumente sind es wert gehört zu werden. Konkrete Unterstützung fand er - neben viel Schweigen und Polemik.
Man mag, was die öffentliche Presse angeht, noch verschiedener Meinung sein, doch wenn man etwas tiefer (besser flacher) ins öffentliche Netz hineintaucht, hört man tatsächlich Stimmen, die aus einer anderen Epoche zu kommen scheinen. Als Israel beim Grand Prix dem Lena-Beitrag null Punkte gab, explodierten Facebook und Twitter vor lauter antisemitischen Klischees: .
Das auch Deutschland Israel nur 0 Punkte gab? Hat keiner gemerkt! Meine aktuellen Erfahrungen der letzten Woche in Israel, als wir während des Grand Prix inmitten der Jerusalemer Neustadt saßen, waren eine andere: nichts Deutschlandfeindliches, keine "Scheiß Nazi!" Sprüche. An diesem Sabbatende sah übrigens auch kaum einer der jungen Israelis den langweiligen Grand Prix, sondern tanzte, sang und feierte das Ende des Sabbats in den Bars bei Shisha und Paulaner Weißbier (kein Witz!!).
Das die eher osteuropäischen Einwanderer Israels für „ihre“ Heimatklänge stimmen verwundert auch nicht. Übrigens: wenn die Israelis wirklich so kleinlich wären, hätten sie 1979 beim Grand Prix, der auch noch in Israel stattfand die Gruppe „Dschinghis Khan“ (übrigens ein Massenmörder) mit sechs Punkten bedacht?
Sie ritten um die Wette mit dem Steppenwind, tausend Mann (Haa, Huu, Haa)
Und einer ritt voran, dem folgten alle blind, Dschingis Khan (Haa, Huu, Haa)
Die Hufe ihrer Pferde durchpeitschten den Sand
Sie trugen Angst und Schrecken in jedes Land
Und weder Blitz noch Donner hielt sie auf (Huu, Haa)
Seltsamer ist da schon „der Deutsche“, eben noch schimpft er über den „Kümmeltürken“ und die „Scheißmuslim-Ausländer“, doch prompt werden da aus Feinden wieder Freunde. So bald es um bzw. gegen Israel geht. „Integration geglückt“ kann man da nur mit der Achse des Guten sagen. Man muss übrigens recht gute Nerven haben, um die hier gesammelten "Hitler-Beglückwünschungen" zu ertragen. Übrigens kann einem dass auch in Israel passieren, dass einem nichtjüdische Israelis auf die Schulter klopfen, mit dem mitfühlenden Bedauern, dass Hitler es ja wenigstens versucht hat.
Ok, für alle, die meinen: "Konservativer Spinner!" oder "Was kopiert er hier die Spinger-Presse?" Einige der besten Sachen zum Thema Israel fand ich übrigens hier, bei der linksjugend, zumindest deren proisraelischen zweig BAK Shalom: http://bak-shalom.de/.
Hat übrigens jemand mitbekommen, dass vor zwei Wochen eine Synagoge in Deutschland angezündet wurde? Nun, „wir“ waren es ja nicht, stimmt‘s, sondern „die anderen“. So haben leider auch schon unsere Großeltern argumentiert.
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Wer noch nicht genug gelesen hat, der kann sich gerne hier weiter informieren:
http://eppinger.wordpress.com/2010/06/02/israel-in-der-doppelmuhle/
http://spiritofentebbe.wordpress.com/
http://npd-blog.info/2010/05/30/esc-000l-punkte-israel-lena/
clemensheni.wordpress.com
aktualisiert: 2.Juni, 20.37.
Theolounge.de hat den Artikel eigenständig als "Gegendarstellung" auf ihrer Seite verlinkt. Ich sehe diesen Beitrag als meine persönliche Meinung an, nicht als "Gegendarstellung". Ich wende mich allerdings gegen einseitige Berichte, - nicht gegen fundierte anderslautende Meinungen - und gegen antisemtische und antiisraelische Reflexe, vorallem nach dem Schema: "Wenn der Jude/Israel nicht so wären, wie sie sind, hätte auch keiner was gegen sie." Da allerdings etliche Artikel in genau diese Richtung gehen ("Das Problem ist der Jude/Israel an sich!") ist er dann vielleicht doch eine Gegendarstellung. Obwohl ich gehofft hatte, solche "Gegner" wären vielleicht mittlerweile ausgestorben. (Ich naives Dummchen!)